Berg-Orte

Meditation zum zweiten Fastensonntag

In jener Zeit nahm Jesus Petrus, Johannes und Jakobus beiseite und stieg mit ihnen auf einen Berg, um zu beten. Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes, und sein Gewand wurde leuchtend weiß. Und plötzlich redeten zwei Männer mit ihm. Es waren Mose und Elija; sie erschienen in strahlendem Licht und sprachen von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte.
Petrus und seine Begleiter aber waren eingeschlafen, wurden jedoch wach und sahen Jesus in strahlendem Licht und die zwei Männer, die bei ihm standen. Als die beiden sich von ihm trennen wollten, sagte Petrus zu Jesus: Meister, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Er wusste aber nicht, was er sagte. Während er noch redete, kam eine Wolke und warf ihren Schatten auf sie. Sie gerieten in die Wolke hinein und bekamen Angst. Da rief eine Stimme aus der Wolke: Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören. Als aber die Stimme erklang, war Jesus wieder allein.
Die Jünger schwiegen jedoch über das, was sie gesehen hatten, und erzählten in jenen Tagen niemand davon.
Lukas 9,28b-36

Bild: Ursula Deutsch

„Wieder ein Berg, der mich in Bann zieht“, dachte ich, als wir ankamen an dem heißen Sommertag. Es war etwas trüb, und die Landschaft Galiläas hinterließ ihren Eindruck, zeigte sich von da oben in einer umwerbenden Ruhe und Schönheit. Das Evangelium nennt keinen Namen des Berges, und doch hat er sich als Tabor in die Landkarte der Glaubenden geschrieben.

Wir machten uns auf zu der großen Kirche, die dem heutigen Evangelium einen Raum eröffnet. Dort zogen wir uns in eine Seitenkapelle zurück und schauten erzählend auf einen alten Mosaikboden. Wie oft fallen die Epochen in diesem Land an einem Ort zusammen. Wie die Schichten in der Heiligen Schrift, die unterschiedlichen Erzählfäden sich zu einem Ganzen gewoben haben, zu einem Text, kommt es mir da oben auf diesem gesamten Berg vor. Der Erzählfaden des Evangeliums sucht sich in unsere Lebensfäden hineinzuweben oder wir nehmen ihn auf, weil er ein Teil unserer Sehnsucht ist. Einen Augenblick etwas klar haben und in einem neuen Licht die Zusammenhänge erkennen. Diesen Faden nehme ich gerne auf.

Doch wie die Jünger habe ich schon so oft die Augenblicke verschlafen, und wenn ich wieder klar sehe, kann ich sie nicht mehr einordnen und begreifen. Doch es bleibt eine Ahnung zurück, dass sich etwas Großes ereignet hat. Der Erzählfaden möchte aufgenommen und zum eigenen Lebensfaden werden.

Ein Erzählstrang vom Tabor steht für mich dafür, dass die, die vor uns waren, Zeitgenossen sind. Wir gehören zusammen in unserem Gehen und Weiterziehen als Menschen auf der Suche nach Leben. Dazu gesellen sich Mose und Elija. Die Geschichte des Jesus von Nazaret wird in deren Geschichten hineinverwoben, und sein Ende findet vorausschauend Worte und Sinnzusammenhänge in diesem Evangelium.

Begreifen? Die Jünger begreifen nicht, sie können nicht einmal darüber reden, was sie gesehen haben. Es erschließt sich ihnen erst im Nachhinein, wie es auch den Emmausjüngern ergehen wird. Es gibt diese Taboraugenblicke, die in den Boden unserer Sehnsucht eine Ahnung setzen, wie ein Samenkorn, damit die Hoffnung wächst.

Wir gingen aus der Kirche, während eine vietnamesische Gruppe die Eucharistie zu feiern begann. Auch sie knüpften an dem Erzählfaden an. Wir sind hineinverwoben.


Heinz Vogel, Pfr.

Quelle: www.geistliche-impulse.de

22.02.2016
zurück