„Johannes Paul der Große und die Kunst des Sterbens“

Leseprobe aus der Neuerscheinung von Paul Badde: Johannes Paul II., Eine Passion - Das vollständige Vorwort

Ein Todesvirus mit einem Durchmesser von 120 Nanometern ist zum ultimativen Schrecken der bewohnten Erde geworden, für eine Plage, wie die Welt sie nie gesehen hat. Ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters, unvorstellbar klein. Und unvorstellbar groß ist die Bedrohung, mit der im Jahr des Herrn 2020 dieser unsichtbare Virus die Menschheit heimsucht, die vor einem Jahr den Brand der Notre-Dame von Paris noch fassungslos wie ein Menetekel zu lesen versuchte, wie eine kosmische Schrift an der Wand. Das erste Mal, dass die ganze Erde im neuen Jahrtausend gleichzeitig in Bann geschlagen wurde, war der 11. September 2001, als Kommandos der Al Khaida die Weltmacht der U.S.A. in New York und Washington mit voll besetzten Passagiermaschinen angriffen, die sie vor den Augen aller Welt in das World Trade Center und das Pentagon lenkten.

Das zweite planetarische Ereignis der letzten 20 Jahre hingegen war kein Attentat oder Feuerfanal und ließ sich auch nicht in Sekunden und Stunden messen, sondern es war das quälend lange Sterben eines einzelnen Menschen vor den Augen der Welt.

Das war Johannes Paul II., wie sich Karol Wojtyla aus Krakau seit seiner Verwandlung zum Papst am 16. Oktober 1978 nannte, der alle Qual und das Sterben und den Tod überwunden hat wie kein Mensch sonst, den ich jemals sonst erlebt habe. Davon und von ihm und seinen letzten Jahren handelt dieses Buch in Augenzeugenberichten.

Das erste Mal war ich Johannes Paul am 17. November 1980 in Fulda von Angesicht zu Angesicht begegnet, nachdem ich ihn zwei Tage zuvor am Radio aus Köln mit den Worten gehört hatte: „Man kann nicht nur auf Probe leben, man kann nicht nur auf Probe lieben, nur auf Probe und Zeit einen Menschen annehmen, und nicht auf Probe sterben.“

Sein altschlesisches Deutsch war so nah und so fremd – und so kraftvoll.

Er erschütterte mich, wie er mich schon seit seiner Wahl zwei Jahre zuvor in Frankfurt erschüttert hatte. Danach dachte ich: Ich muss ihn sehen. So bin ich ihm mit einem Freund und unserem vierjährigen Sohn Jakob auf gut Glück in einem alten Opel nach Fulda nachgefahren, wo der Papst auf seiner Deutschlandreise die nächste Station machte, und habe über diese Begegnung am nächsten Tag einen Bericht geschrieben, ohne jeden Auftrag. Ich war Geschichtslehrer und kein Journalist. Doch darüber musste ich einfach schreiben. An diese Begegnung und diesen Bericht erinnere ich deshalb mit meinem ersten Stück in dieser ausgewählten Sammlung von Artikeln, mit denen ich ihn später begleitet habe, als sich unsere Wege zufällig in Jerusalem und Rom wieder kreuzten, wohin ich genau 20 Jahre später als Korrespondent der Tageszeitung DIE WELT entsandt worden war.

Meine erste Begegnung mit Johannes Paul II. in Fulda geschah knapp sieben Monate vor der ersten Begegnung dieses Pontifex mit dem eigenen Tod, an die zwischen den Pflastersteinen des Petersplatzes heute noch eine quadratische Marmorplatte mit seinem Wappen und der Aufschrift erinnert: „TOTUS TUUS – XIII-V-MCMLXXXI“. Die Platte ist an der Stelle in den Boden eingelassen, wo am 13. Mai 1981 zwei Vollmantelprojektile aus der Browning des 23-jährigen Ali Ağca aus kurzer Distanz seinem Leben um Haaresbreite fast ein Ende setzten. Fünfeinhalb Stunden kämpften die Ärzte der Gemelli-Klinik für seine Errettung.

Er überlebte. Dennoch hatte das „Jahrhundertverbrechen“ dieses Attentats den sportlichen Mann mit dem starken Herzen für immer verwundet. Und so hatte ich ihn auch wiedergetroffen, als einen Verwundeten, als ich ihm am 22. März 2000 in Bethlehem die Hand drücken durfte. Wir waren fast gleichzeitig in Jerusalem angekommen, ich als neuer Korrespondent der WELT aus Berlin und der Papst als Pilger aus Rom, der sich mit dieser letzten Pilgerreise ins Heilige Land im Heiligen Jahr 2000 einen letzte Lebenstraum erfüllte, wie er sagte. Sechs erste große Berichte von mir aus Jerusalem galten darum nicht der schwierigen Phase des Friedensprozesses zwischen Israelis und Palästinensern am Vorabend der 2. Intifada, sondern dem Pilger und Pontifex aus Rom, auf dem so viele Hoffnungen lagen, weil er so viele faszinierte und mich persönlich zuallererst.

Diese Berichte bewegten die Leser der WELT und meinen Chef und manche Kollegen jedoch so sehr, dass ich die Berliner Redaktion danach überzeugen konnte, mich zum 13. Mai 2000 eigens von Jerusalem nach Fatima zu entsenden, weil es mir vorkam, als wolle Johannes Paul II. dort nun anfangen, Abschied zu nehmen. Das stimmte wohl auch, doch diese letzte Pilgerreise sollte noch lange dauern, wie es mir ab dem Jahr 2002 gewahr wurde, als ich selbst von Jerusalem nach Rom entsandt wurde, um über die unübersichtliche italienische Politik zu berichten und über Johannes Paul den Großen, dessen Nachbar ich dort bis zu dessen Tod wurde, beim letzten Martyrium dieses großen Heiligen und seiner heiligen Agonie. Von dieser Periode berichtet die Auswahl der hier versammelten Stücke so gut wie unredigiert aus damaliger „Echt-Zeit“. Es sind Artikel, die allesamt meiner Tätigkeit als Berichterstatter und der Aktualität verschiedener Tage bis zum April 2005 entstammen über einen Menschen, der damals ins ewige Leben wechselte.

Am 18. Mai 2020 wäre Johannes Paul II. 100 Jahre alt geworden, heute vor 15 Jahren ist er „ins Haus des Vaters“ zurückgekehrt, wie Kardinal Ratzinger es bei seinem Begräbnis sagte, der Tage später sein Nachfolger wurde. Möge der große Heilige nun auch unser Patron der Zukunft werden und unser Fürsprecher für ein seliges Sterben zur rechten Zeit.



kath.net-Buchtipp
Johannes Paul II. - Eine Passion
Von Paul Badde
Hardcover, 208 Seiten
2020 Fe-Medienverlag
ISBN 978-3-86357-264-8
Preis Österreich: 15.30 EUR

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Paul Badde – Rom, am 2. April 2020
11.05.2020
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