5. Fastensonntag in der Hauskirche

Betrachtung zum Sonntagsevangelium

Die vielleicht ungewöhnlichste Fastenzeit, die wir bisher erlebt haben. Wir können nicht einfach Gottesdienst feiern, wie wir es gewohnt sind und wie wir es in der Fastenzeit noch bewusster tun wollten. Es fühlt sich an wie „geistliche Quarantäne“ und es ist auch tatsächlich so. Der Begriff Quarantäne meint vom Wortsinn her die Abgeschiedenheit für 40 Tage – also nichts anderes wie die österliche Bußzeit, die uns durch bewussten Verzicht auf das Osterfest vorbereiten will.

Ich lade Sie ein, mit ihrer Familie einen Gottesdienst zu Hause zu feiern. Der Verzicht auf die Hl. Messe ist schmerzlich, aber es kann daraus auch eine gute Frucht erwachsen: die Eigeninitiative zum persönlichen Gebet in der „Hauskirche“. Sie können sich dabei geistig mit der Hl. Messe verbinden, die wir Priester in der Pfarreiengemeinschaft stellvertretend in der Kirche für alle feiern und den Segen spenden. 

Mit besten Segenswünschen

Martin Straub, Pfarrer 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

die Erweckung des Lazarus ist das letzte der fünf Evangelien, die wir in der Fastenzeit als Vorbereitung auf das Osterfest hören. Im Gegensatz zu den zahlreichen Wunderberichten, die wir bei Markus, Matthäus und Lukas finden, berichtet uns Johannes nur von sieben großen Zeichen – und darunter ist die Erweckung des Lazarus das letzte und größte Zeichen. Wenig später zieht Jesus in Jerusalem ein.

Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie Jesus seinen Jüngern Stück für Stück den Schlüssel in die Hand gibt, um das zu verstehen, was kurz danach in Jerusalem geschehen wird: sein Tod und seine Auferstehung. Die Auferstehung von den Toten ist das letzte und eindeutigste Zeichen der Göttlichkeit Jesu. An diesem niemals gehörten Wunder wird sich dann der Glaube letztendlich erst entzünden können. Im vollen Sinne glauben kann der Mensch erst an Ostern. – Das ist übrigens auch der Grund, warum Ostern das höchste und bedeutendste Fest der Christenheit ist.   

Alle vorausgehenden Worte und Taten Jesu sind eine Hinführung, eine Vorbereitung, um das eigentliche zu verstehen: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“. Nur wer selbst Herr über Leben und Tod ist, kann andere aus dem Tod zum Leben führen. Am Ende heißt es, dass viele Juden, die gesehen hatten, was Jesus getan hatte, zum Glauben kamen. Während sie vielleicht bei anderen Wundern noch zweifelten – nach anderen Erklärungen suchten –, ist jetzt für die, die glauben wollen, die Beweislage klar: Jesus muss „der Messias sein, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen sollte“.

Dazu dürfte aber nicht nur die große Macht Jesu geführt haben. Der Herr über Leben und Tod wird uns in diesem Evangelium nämlich auch noch auf eine ganz andere Art und Weise vorgestellt – die vielleicht genauso einmalig und großartig ist: Jesus weint. Die Großartigkeit Gottes zeigt sich nämlich nicht nur in seiner Erhabenheit über die dunkle Macht des Todes. Die Größe Gottes liegt hier vor allem auch in seiner Fähigkeit, mitzufühlen, mitzutrauern, mitzuweinen.

Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht haben sie auch manchmal den Eindruck, regelrecht zerrissen zu werden zwischen den Realität des Lebens und den Gewissheiten des Glaubens: Auf der einen Seite die Überzeugung, dass das, was nach dem Tod kommt, alle unserer Erwartungen übertrifft – und gleichzeitig der Wunsch, möglichst lange auf dieser Erde zu leben. Auf der einen Seite die Gewissheit, das mit dem Tod nicht alles aus ist – und auf der anderen Seite die Angst davor, sich in dieses Schicksal zu fügen. Auf der einen Seite die Glaubensfreude über die Nähe und Güte Gottes – auf der anderen Seite die Erfahrung, dass dieser Glaube in manchen schwierigen Situationen so wenig konkrete Hilfe zu bringen scheint.

Vielleicht haben Sie auch hier und da das Gefühl, dass dieser Gott Ihnen zu hoch ist – zu groß und zu mächtig, zu weit weg von ihren eigenen Gefühlen und Sorgen. Gerade weil das immer wieder so ist – und jeder könnte speziell in der Coronakrise da seinen Geschichten beitragen – liegt die Größe dieses Wunders von der Auferweckung des Lazarus nicht allein in der Machtfülle, die hier so überdeutlich wird, sondern auch in der beeindruckenden Art und Weise, wie Jesus Anteil nimmt. Jesus weint! – Und die umstehenden Juden sind bewegt von diesem Zeichen des Mitgefühls. Sie spüren, wie Jesus sich die Not und das Leid der Hinterbliebenen zu Eigen macht.

Es wird klar: Jesus hat nicht nur für uns am Karfreitag gelitten – er leidet auch mit uns. Er ist uns näher, als wir selbst es uns sind, besonders dann, wenn wir an irgendetwas leiden.

  • Er kennt unsere Ängste – und er fürchtet sich mit uns.
  • Er kennt unsere beklemmenden Gefühle – und er fühlt mit uns.
  • Er kennt unsere Sehnsucht nach einem Gott, der uns wirklich nahe ist.

Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube, wir dürfen bei all der Wichtigkeit der Botschaft über die Auferstehung nicht über die so einfühlsame Solidarität Jesu hinweggehen, die er vor diesem letzten großen Zeichen gezeigt hat.

Wir sollten nicht darüber hinweggehen, weil in diesem Mit-sein Jesu in der Stunde der Not bereits ein starkes Moment des Trostes liegt – ein Ort der Begegnung mit dem Herrn. Nehmen wir die gar nicht so seltene Situation der Krankheit, wo eine schlimme Diagnose die Selbstverständlichkeit des Lebens aufhebt. Auch hier blicken wir auf Gott und hoffen auf das heilende Wunder – zu Recht! Aber wir dürfen in einer solchen Situation zunächst Jesus auch wahrnehmen als den, der zuerst da ist.

Nicht nur als den, der die Macht hat zu helfen, sondern auch der, der da ist und in der Situation, in der wir uns befinden, mit uns weint. Jesus geht jeden Weg des Leides mit als der, der mit uns weint.

Wenn wir am heutigen Sonntag als Priester die Hl. Messe unter Ausschluss der Öffentlichkeit feiern und die christlichen Familien zu einem Hausgottesdienst zusammenkommen, dann ist das ein Fest der Nähe Gottes auch in diesem Sinne. Wir haben einen Gott, der weiß, was in uns vorgeht, weil er hier mitten unter uns lebt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20)

Und wir haben einen Gott, der durch uns anderen Menschen nahe sein will: Deshalb verträgt sich der Gedanke der Nächstenliebe, den wir am heutigen Misereor-Sonntag feiern, sehr wohl mit der Anbetung Gottes: Gott ist uns nahe – und so können wir anderen Seine Nähe weitergeben.

Gott in unserer Nähe zu haben ist ein gewaltiger Trost. Amen.

28.03.2020
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