Beten wir den Kreuzweg!

Jesus auf seinem letzten Weg durch das Heilige Land

Einen Sterbenden auf seinem letzten Weg zu beglei­ten, gehört zu den vornehmsten Werken christlicher Barmherzigkeit. Nie ist der Mensch so einsam wie in den letzten Stunden seines Lebens, da er das Tor des To­des alleine durchschreiten muss. Zwar können wir einander diesen Weg durch die Dunkelheit nicht ersparen, aber wir können den Sterbenden doch liebevoll bis an das Tor des Todes begleiten, in dem festen Vertrauen, dass der barm­herzige Herr ihn im Jenseits empfangen wird.

Mit Jesus selbst war das anders. Für ihn führte der Weg nicht nur in den grausamen Tod am Kreuz, was schlimm genug ist, sondern in die dunkelsten Kammern der Unter­welt. Nicht nur das: Er war auf seinem letzten Weg von al­len, selbst seinen engsten Vertrauten, verlassen. Nur seine Mutter und eine Handvoll Frauen, die ihm von Galiläa her gefolgt waren, standen in seinen letzten Stunden unter ihm und sahen, wie sein Auge brach. Und Johannes, als Einziger der zwölf Apostel. Selbst vom Vater fühlt der Sohn Gottes sich verlassen, der die abgrundtiefe Verlassenheit des Sün­ders stellvertretend auf sich genommen hatte, um durch seinen Tod uns alle wieder in die Gemeinschaft mit dem Vater aufzunehmen. Niemand, nicht mal der schlimmste Sünder, wird je wieder eine derartige Verlassenheit in seiner Todesstunde ertragen müssen.

Haben Sie sich je gefragt, wo Sie in jenen Stunden gewesen wären? Wünschten wir nicht alle insgeheim, den Mut dieser Frauen gehabt zu haben, deren Liebe sie bis unter das Kreuz geführt hatte, oder die Liebe des Johannes, der dem Freund, „den er liebte", bis in das Tiefschwarze des Todes treu war? Nun ist es nicht so, dass wir dem Herrn diesen Liebesdienst nicht mehr erweisen können. Im Gegenteil: Im betenden Erinnern seines Leidens können wir die Grenzen von Raum und Zeit überschreiten und kraft unseres Glaubens Jesus auf seinem letzten Weg durch das Heilige Land mit unserer Liebe tröstend zur Seite stehen. So wie Maria, von der eine fromme Tradition in Jerusalem bis heute berichtet, dass sie nach der Himmelfahrt des Herrn jeden Tag zu den Stationen seines Leidens zurückkehrte, um liebend in ihrem Herzen zu bewegen, was Er für uns erlitten und mit welch großer Liebe Er uns geliebt hat.

Diesem Vorbild der Muttergottes folgend, hat sich in der Kirche die Praxis des Kreuzwegbetens entwickelt, zuerst in Jerusalem, schließlich auf dem ganzen Erdkreis. Seit Jahrhunderten gehen Christen, vornehmlich am Freitag, im Geiste den Kreuzweg ihres Herrn nach. Sie suchen, ihm auf diese Weise nahe zu sein und zugleich - aus dem Betrachten seiner Leiden - Kraft für die eigene Kreuzesnachfolge zu schöpfen. Der Schwierigkeit, der wir dabei jedoch fast alle begegnen, ist, dass wir nicht wie Maria aus der Erinnerung des selbst Erlebten schöpfen können. Ja, es fällt uns außerordentlich schwer, uns die Ereignisse jener Tage und die uns derart fremden Umstände der Kreuzigung lebendig vorzustellen. Aus diesem Grund gibt es schon immer Betrachtungshilfen in Form von Kreuzwegandachten.

In den letzten Jahrzehnten ist es allerdings schwer geworden, Betrachtungen zu finden, die einem wirklich helfen, Jesus auf seinem Kreuzweg zu begegnen. Die allermeisten führen einem eher das Elend der heutigen Welt vor Augen, welches der Herr zwar tatsächlich zu seinem eigenen gemacht hat, doch da es eben nur indirekt sein Antlitz trägt, kann es uns nicht zeigen, „wie groß die Liebe ist, mit der Er uns geliebt hat" (1 Joh 3:1). Ein gelungener Kreuzweg hingegen lässt uns sein ureigenes und einzig schönes Antlitz schauen und entführt den Beter nach Jerusalem, direkt hinauf auf den Berg Zion und den Golgata-Hügel, wo er sich mitten unter dem Volk der Juden widerfindet und Augenzeuge wird, wie Pilatus den gegeißelten und dornengekrönten, in den Purpurmantel seines eigenen Blutes gehüllten Herrn seinem Volk vorführt und ausruft: „Seht den König mit der Krone, mit dem seine Mutter ihn gekrönt hat, am Tag seiner Hochzeit, am Tag seiner Herzensfreude?", wie dieser Tag in der jüdischen Welt im Hohen Lied König Salomos besungen wird, wo die „Mutter" auch als ein Synonym für „sein Volk" gelesen werden kann.

Genau solch einen Kreuzweg schenkt uns nun Erzbischof Georg Gänserein mit diesem kostbaren Büchlein. Einer Bitte der fast hundertjährigen Künstlerin Auguste Maria Karoline Moede Jansens folgend, die die Vignetten zu diesem  Kreuzweg geschaffen hat, schildert der Sekretär Papst Benedikts XVI. hier nun „den letzten Weg Jesu durch das Heilige Land" derart lebendig, dass man den Eindruck hat, wirklich dabei zu sein. Gleich einem Mel Gibson mit seiner Passion, gelingt es dem Präfekten des päpstlichen Hauses in Rom, die 2000 Jahre alten Ereignisse so lebendig vor den Augen des Beters erstehen zu lassen, dass er sich in das Jerusalem des Jahres 33 nach Christus zurückversetzt fühlt und im Anblick des Leidens Jesu von der Liebe Gottes tief ergriffen wird.

Aus der solcherart ermöglichten lebendigen Begegnung mit der Mensch gewordenen Liebe wird dem Beter hier auf wundervolle Weise die Kraft zuteil, Jesus auch in der Gestalt seiner leidenden Schwestern und Brüder das Kreuz tragen zu helfen, ihn nicht zu verleugnen, wenn er selbst um Seines Namens willen verfolgt, verlacht und geschmäht wird, und das eigene Kreuz zu bejahen, um so bei jener Liebe, die tatsächlich stärker ist als der Tod, bis in denselben hinein treu auszuharren.  

Diesen Kreuzweg können Sie bei Fe-Verlag erwerben: https://www.fe-medien.de/

Nina Sophie Freiin Heereman
31.03.2020
zurück